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Städtische Interessen hören nicht an der Stadtgrenze auf: ein Interview zur Fusionsstudie
Martin Straumann: Eigentlich geht es Trimbach nicht schlecht, das stimmt. Aber wir stellen je länger je mehr fest: Die Probleme Oltens sind auch unsere Probleme. Und umgekehrt. Eine rein punktuelle Zusammenarbeit in gewissen Themenbereichen kann zwar hilfreich sein, bringt uns aber langfristig nicht wirklich weiter. Unterschiedliche Strukturen und Standards in einzelnen Bereichen behindern gemeinsame Projekte.
Stephan Käppeli: Die heutigen Gemeindegrenzen sind historisch. Sie entsprechen nicht mehr dem Lebensraum der Einwohner. Olten und Trimbach bilden einen Siedlungsraum. Entsprechend intensiv sind die Verflechtungen zwischen den Gemeinden und damit die gemeinsam zu lösenden Aufgaben und Probleme. Die Vielzahl von Zusammenarbeitsformen unter den Gemeinden ist aufwändig und stösst an Grenzen. Es ist zu vermuten, dass das Entwicklungspotenzial der Region in einer fusionierten Gemeinde besser genutzt werden kann. Dies gilt für alle beteiligten Gemeinden.
Will die Stadt Olten einfach rundherum alles einverleiben?
Ernst Zingg: Die Stadt Olten will bestimmt keine Gemeinde annektieren. Eine einseitige «Einverleibung» wird nie von Erfolg gekrönt sein. Nun zeigt aber die Erfahrung in der Agglomerationspolitik auf Bundesebene, dass eine Zentrumsstadt die Region immer einbeziehen muss. Eine Zusammenarbeit in unserer Region findet heute schon in vielen Bereichen statt. Beispielsweise sind einige Gemeinden an unser Rechenzentrum angeschlossen, oder wir bilden mit anderen Gemeinden eine Sozialregion.
Straumann: Gegenüber Olten ist man in Trimbach aufgeschlossen und hat keine Berührungsängste. Es gibt bei uns gar nicht so viele Alteingesessene, und auch diese haben positive Kontakte zu Olten. Viele Trimbacherinnen und Trimbacher haben einen Teil ihres Lebens in Olten verbracht. Und umgekehrt.
Wer hat die Fusionsabsichten ins Rollen gebracht?
Zingg: Gerade auch Projekte von grosser Bedeutung und Tragweite beginnen immer wieder durch das Nutzen persönlicher Beziehungen. So war es auch bei unserer Fusionsgeschichte. Martin Straumann und ich kennen uns schon seit Jahrzehnten. Unser Verhältnis als Gemeindepräsidenten-Kollegen war und ist sehr gut. Wir stammen beide aus Erlinsbach. Und so trafen sich die «Speuzer» vor ungefähr zwei Jahren, auf Anregung von Martin Straumann, auf dem Rumpel. Dieses Gespräch brachte unser Projekt ins Rollen.
Sie sind also die «Drahtzieher» einer Fusion?
Zingg: Wir haben schnell gemerkt, dass wir Probleme gemeinsam besser lösen können. Thema war immer das Herbeiführen der sogenannten «Win-Win-Situation». Das Oltner Parlament hat bereits 2006 sehr positiv auf ein mögliches Zusammengehen der Region reagiert. Stephan Hodonou von der CVP/EVP-Fraktion hat damals einen Vorstoss eingereicht mit dem Ziel, die Fusion sei bis 1. Januar 2008 zu realisieren... So schnell geht es natürlich nicht.
Was hätte ein gewachsenes Zentrum Olten zu bieten?
Zingg: Wir leben hier in einer Pendlerregion. Die Trilogie vom Wohnen, Leben und Arbeiten benutze ich in diesem Zusammenhang jeweils gerne. Unsere Region hat viel zu bieten. Mit Hauenstein-Ifenthal und Wisen haben wir fast «Kurorte», ein Naherholungsgebiet von grosser Qualität. Mit Trimbach, Winznau sowie Dulliken auch Wohnzonen und Industriezonen, die schon heute sehr gut an die Stadt angebunden sind.
Straumann: Viele Trimbacher sind vom Verkehr genauso betroffen wie Olten und stellen sich die Frage: Wie wird das Verkehrsproblem gelöst? Aber dazu etwas sagen dürfen sie dann nicht. Umgekehrt bekomme ich manchmal fast etwas ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, dass Olten 30 Millionen Franken an die Umfahrung Ost zahlt, Trimbach nur 0.5 Millionen. Dabei profitieren wir ganz genauso. Realität ist doch, dass die städtischen Interessen nicht an der Stadtgrenze aufhören.
Käppeli: Ein zentraler Vorteil der Region Olten ist die hervorragende Verkehrslage mit der Anbindung des öffentlichen Verkehrs an die Zentren Zürich, Basel und Bern. Dadurch hat Olten ein grosses, noch nicht ausgeschöpftes Potenzial als attraktive Wohnstadt. Dies zeigen verschiedene Studien. Dank der zentralen Lage liegt ein grosser Arbeitsmarkt in allen Richtungen vor der Haustüre. Eine Fusion könnte den Wohnstandort Olten stärken.
Zingg: Deshalb finde ich den Begriff «Pendlerregion» auch so treffend. Er ist nicht abwertend gemeint, im Gegenteil.
Sie haben die Namen der an der Studie beteiligten Gemeinden erwähnt: Hauenstein-Ifenthal, Wisen, Trimbach, Olten, Winznau und Dulliken. Wobei letztere zwei in der Fusionsfrage noch zögern.
Käppeli: Dies ist verständlich. Trimbach und Olten bilden ein Siedlungsgebiet – sind eine Stadt. Die beiden Gemeinden Hauenstein-Ifenthal und Wisen arbeiten stark mit Trimbach zusammen. Die Pendlerströme fliessen fast nur in eine Richtung – nach Olten/Trimbach. Winznau und Dulliken sind zwar auch nach Olten orientiert, sie arbeiten jedoch auch relativ stark mit Gemeinden weiter östlich zusammen. Für sie stellt sich neben der an sich schon einschneidenden Fusionsfrage auch die Frage, wie stark sie sich umorientieren wollen.
Zingg: In der Sozialregion ist Winznau ja dabei. Und im Schulbereich verhandeln Dulliken und Olten. Es gibt Gemeinden, und das respektiere ich, die ihre Interessen abwägen wollen. Das machen wir auch: Olten schaut für sich, aber auch für die Region. Aus diesem Denken heraus entsteht Zusammenarbeit, Kooperation, oder eben auch eine Fusion, immer mit der klar angestrebten «Win-Win-Strategie» und einer gegenseitigen Stärkung zum Wohle der Bevölkerung. Wir reden ja alle miteinander in verschiedensten Bereichen und Gremien, beispielsweise regelmässig im Regionalverein Olten-Gösgen-Gäu. (Zingg ist dort Präsident, Straumann Vizepräsident, die Red.).
Straumann: Sicher ist: Ohne die Zustimmung von Olten und Trimbach ist die Fusion gestorben.
Aber eine eigentliche Umfrage bei der Bevölkerung wurde noch nicht gemacht. Wie wollen Sie diese denn abholen?
Straumann: Umfragen existieren keine, aber ich spüre bei diesem Thema in der Bevölkerung wirklich eine positive Grundstimmung. Man wird den Leuten einfach ehrlich kommunizieren müssen, was sie von einer Fusion zu erwarten haben. Und wichtiger noch: was nicht.
Zum Beispiel?
Straumann: Es ist zum Beispiel eine kurzsichtige Annahme zu denken, dank einer Fusion mit Olten würden wir in Trimbach so und so viel Steuern einsparen. Gesamthaft betrachtet entstehen durch eine Fusion für die Trimbacher aber sicher keine finanziellen Nachteile.
Zingg: Der ständige Dialog mit der Bevölkerung ist ganz zentral. Ich habe es mir schon seit einiger Zeit zur Pflicht gemacht, bei jeder Gelegenheit das Thema Fusion und die angelaufenen Arbeiten zu thematisieren und anzusprechen, im Wissen darum, dass ich damit nicht immer nur eitel Freude auslöse. Aber nur wenn wir offen kommunizieren und auf verständliche Ängste eingehen, können wir unsere Bevölkerung auch für unsere Anliegen und Vorstellungen sensibilisieren und gewinnen. Die Bevölkerung muss den grossen Nutzen einer Fusion spüren und hundertprozentig mittragen.
Was erwarten Sie eigentlich vom Kanton an Hilfestellung?
Käppeli: Der Kanton ist in der Projektsteuerung vertreten und unterstützt unsere Tätigkeit fachlich. Diese Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Eine Knacknuss wird der Finanzausgleich sein. Es ist möglich, dass die Summe der Finanzausgleich-Zahlungen ohne Fusion bedeutend höher ist als mit einer Fusion. Dies war beispielsweise im Kanton Luzern der Fall. Ein so ausgestaltetes Finanzausgleichssystem ist für Fusionen hinderlich. In diesem Bereich muss der Kanton Klarheit schaffen.
Zingg: Das sehe ich auch so. Man müsste ein Anreiz-System schaffen. Einmalige Zahlungen an fusionswillige und fusionsbereite Gemeinden dürften da nicht genügen. Immerhin gilt es zu erwähnen, dass der Kanton unserem Projekt sehr positiv gegenüber steht, so arbeitet auch ein kompetenter Vertreter des Kantons in der Projektgruppe mit. Für beide Seiten ist das sehr wichtig.
Straumann: Der Finanzausgleich unter den Gemeinden soll ja revidiert werden. Das wäre sehr zu begrüssen, denn der aktuelle Finanzausgleich ist ganz klar fusionshinderlich. Letztlich entscheidend ist, dass die Finanzausgleichszahlungen so ausgestaltet werden, dass sie für alle fusionswilligen Gemeinden vertretbar sind. Und nicht, ob wir vom Staat als Bonus für die Fusion noch ein paar hunderttausend Franken als «Belohnung» erhalten. Ich zähle da auf die Vernunft: Beim Kanton weiss man sehr wohl, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf ist.
Wie sehen jetzt die nächsten Schritte aus?
Käppeli: Uns liegt jetzt die Ist-Analyse mit den momentanen Aufgaben der Gemeinden vor. Diese gibt Aufschluss über die Organisation und deren Ressourcenbedarf für die Erfüllung der kommunalen Aufgaben. Ab Mitte Januar 2009 bis zu den Frühlingsferien werden Arbeitsgruppen die verschiedenen Bereiche detailliert bearbeiten und aufzeigen, wie der jeweilige Bereich in der fusionierten Gemeinde ausgestaltet sein könnte. Dabei werden auch gemeindespezifische Fragen diskutiert. Die Fakten zu den einzelnen Bereichen sollen vor den Sommerferien vorliegen.
Zingg: Läuft alles planmässig, könnten diese Ergebnisse dann in die Vernehmlassung bei den Gemeinden gehen. Daraus entsteht die Grundlage für einen Fusionsvorvertrag als verbindliche Absichtungserklärung der interessierten Gemeinden. Quasi die Verlobung – zur Hochzeit muss dann natürlich das Stimmvolk Ja sagen.
Straumann: Der Zeithorizont ist ganz entscheidend. Bei allem seriösen Prüfen muss die Fusion vorangetrieben werden. Bei uns in Trimbach stelle ich nämlich fest, dass diese Diskussion alles andere überlagert. Es besteht die Gefahr, dass gewisse Sachthemen blockiert werden könnten, dass die Fusionsdebatte fast innovationshemmenden Charakter hat. So nach dem Motto: Was sollen wir jetzt diese Gebäulichkeiten noch reinigen lassen...
Stand heute dürften vorerst vier Gemeinden fusionieren?
Käppeli: Dies ist offen. Das gesamte Projekt ist so organisiert, dass die Gemeinden aufgrund der Ergebnisse der einzelnen Phasen entscheiden können, ob sie den Weg Richtung Fusion weitergehen wollen. Die Steuerungsgruppe hat entschieden, dass die Fusion aller sechs beteiligten Gemeinden als Hauptvariante analysiert wird. Im Bereich Finanzen soll auch eine Vierer-Fusion geprüft werden. In den übrigen Arbeitsgruppen sollen Fragen aufgezeigt werden, die sich bei einer Vierer-Fusion zusätzlich stellen.
Zingg: Für die beteiligten Gemeinden, die Bevölkerung könnten sich auch noch Fragen ganz spezieller Art stellen, die es nicht zu unterschätzen gilt. Wie sieht das Wappen aus? Wie lautet der «Name der Fusion» künftig? Wie werden die politischen Kräfte miteinander verbunden? Und so weiter.
Und wollen Sie die Fragen gleich beantworten?
Zingg: Da möchte ich nicht vorgreifen, vielleicht nur soviel: Sie dürften lösbar sein.
Käppeli: Im Luzernischen haben Reiden, Richenthal und Langnau bei Reiden zu einer Gemeinde fusioniert. In diesem Fall gab es bei der Namensfindung keine Probleme. Für die Bevölkerung war klar, dass die neue Gemeinde Reiden heissen sollte. Reiden war der bekannteste Ort und hatte bis dahin für die umliegenden Gemeinden eine Zentrumsfunktion. Die Namen der Dörfer bleiben ja auch in einer fusionierten Gemeinde erhalten Solche zentralen und auch emotionalen Fragen werden in einer späteren Phase mit der Bevölkerung diskutiert.
Hätte Trimbach Probleme, Olten zu heissen?
Straumann: Die Namensfrage wäre bei uns in Trimbach wohl kein Problem. Und was das Wappen betrifft: Die heutige Generation weiss noch, wie es aussieht. Eine Generation später wäre das doch schon kein Thema mehr. Weder Name noch Wappen dürften aus meiner Sicht in Trimbach zum Stolperstein werden.
Bis wann wird die Fusion vollzogen sein?
Straumann: Meine persönliche Zielsetzung: 2013. Bis dann sollte die Fusion über die Bühne sein und die Gemeinde funktionieren. Vielleicht ein ehrgeiziges Ziel, aber wenn man will, dann kann man auch. Aber, nochmals: Der Kanton muss auch ganz klar die Absicht äussern, den Finanzausgleich entsprechend zu revidieren. Sonst wird das nichts.
Zingg: Das ist auch mein optimistisches Ziel. Wir sind jetzt in einer Phase, in der wir offen und klar kommunizieren und informieren müssen. Die Zurückhaltung muss abgelegt werden. Sie dürfen also dreimal raten, was sicher auch Teil meiner Neujahrsbotschaft sein wird... Was wir noch nicht erwähnt haben: Auch die Wirtschaft ist sehr interessiert an einem solchen «Gebilde». Für die Region Olten ist eine Fusion auch ein deutliches Signal nach aussen.
Kann es noch Stolpersteine geben?
Käppeli: Bei einer Fusion geht es Schritt für Schritt vorwärts. In der Region Olten ist der Anstoss von den Gemeinden selbst gekommen. Das ist sehr positiv und zeigt, dass in der Region ein sehr offener Geist vorhanden ist Auf dem Weg zu einer Fusion gibt es jedoch etliche Stolpersteine. Ich gebe nur einige Stichwörter: Schulen oder Feuerwehr. Daneben wird ein Fusionsprozess immer auch von Personen geprägt. Wechsel in den Gemeinderäten können zu einer anderen Beurteilung der Fusion führen.
Straumann: Da bin wohl ich gemeint. Es stimmt, dass ich nächstes Jahr nicht mehr kandidiere. Aber ich versichere: In Trimbach wird niemand Gemeindepräsident, der diesen Zug nicht weiterstösst.
Zingg: Es stimmt, dass Martin und ich treibende Kräfte sind. Aber an diesem Projekt arbeiten noch sehr viele andere Leute im Hintergrund mit. Ihnen möchte ich an dieser Stelle auch mal danke sagen. Im Übrigen bin ich überzeugt: Die Fusion, in welcher Form und Zusammensetzung auch immer, kommt zustande.
Sechs Gemeinden sind dabei Nachdem eine Motion im Oltner Gemeindeparlament die Aufnahme von Fusionsgesprächen mit der Nachbargemeinde Trimbach forderte und auch in Trimbach selber über ein engeres Zusammengehen mit der Stadt Olten diskutiert wird, lancierten die beiden Gemeinden zusammen mit der Hochschule Luzern eine Studie über Chancen und Risiken eines Zusammenschlusses. Da ein solcher Schritt Konsequenzen für die gesamte Agglomeration Olten haben könnte, gelangten Olten und Trimbach letztes Jahr an ihre benachbarten Solothurner Gemeinden mit der Anfrage, ob diese ein Interesse an der gemeinsamen Erarbeitung von Daten hätten. Aufgrund der Empfehlung einer ersten Grobanalyse beschlossen die Gemeinden Boningen und Rickenbach, an den detaillierten Abklärungen in den folgenden Phasen nicht mehr zu partizipieren. Gleich entschied auch die Gemeinde Wangen, weil sie eigenständig bleiben will. Bleiben sechs Gemeinden: Olten, Trimbach, Dulliken, Winznau, Hauenstein-Ifenthal und Wisen. Eine Ist-Analyse dieser Gemeinden, die Aufschluss über die Organisation und den Ressourcenbedarf – Personal, Infrastruktur, Ausgaben und Einnahmen – gibt, wurde in diesen Tagen bereinigt und liegt nun vor. Bis Ende März 2009 werden nun die Auswirkungen einer Fusion in Fachgruppen erarbeitet. Die Gruppen bestehen aus Fachleuten aller beteiligten Gemeinden. Als Resultat sollen umfassende Entscheidungsgrundlagen vorliegen, die als Basis für einen Workshop mit den Gemeinderäten im April dienen. Ende Juni 2009 soll der Schlussbericht vorliegen, der den Gemeinderäten präsentiert wird. Anschliessend geht der Schlussbericht zur Vernehmlassung in die Gemeinden, welche dann entscheiden, ob sie einen Fusionsvorvertrag abschliessen möchten. Im Fusionsvorvertrag bekunden die beteiligten Gemeinden ihren Willen, eine konkrete Fusionsvorlage auszuarbeiten und der Bevölkerung zur Abstimmung vorzulegen. |