Am 16. Mai 2017 hat die SP Olten/Junge SP Region Olten zuhanden der Parlamentssitzung vom 18. Mai 2017 folgende dringliche Interpellation eingereicht:
«Aufgrund der anscheinend gehäuft vorkommenden Wegweisungen im Bereich des Ländiwegs in der letzten Zeit, wird der Stadtrat ersucht zu den Beweggründen Stellung zu nehmen.
- Wie viele Wegweisungen hat es seit dem 1.4.2017 gegeben? Ist diese Anzahl höher als in vergangenen Zeitabschnitten?
- Wie wurden die jeweiligen Wegweisungen begründet?
- Welche alternativen Ansätze wurden geprüft?
- Was ist die Position des Stadtrats zu den in letzter Zeit vermehrt vorkommenden Wegweisungen? Welche Rolle übernimmt der Stadtrat dabei und welches sind seine Handlungsmöglichkeiten?
- Wie wird die Verhältnismässigkeit der Massnahme der Wegweisung begründet? Wie wird insbesondere die Grösse der Zone gerechtfertigt? (vgl. Bild im Anhang)
- Wie wird sichergestellt, dass bei einer Wegweisung, die das Bahnhofsareal umfasst, die persönliche Freiheit nicht unverhältnismässig eingeschränkt wird?
- Werden alle anwesenden Personen gleichermassen kontrolliert, wenn eine Personenkontrolle in der Zone durchgeführt wird?
- In welcher Form und mit welcher Häufigkeit wurden Drittpersonen von den jeweils weg-gewiesenen Personen belästigt oder gar gefährdet, so dass eine Wegweisung gerechtfertigt war? Wie weiss der Stadtrat oder die Polizei bestimmt, dass er tatsächlich die Personen erwischt hat, die sich gem. Art. 37 des Solothurner Polizeigesetzes fehlerhaft verhalten haben?
- Was versteht der Stadtrat unter der bestimmungsmässigen Nutzung des öffentlichen Raums am Ländiweg (und Umgebung)? Ist es möglich, dass Personen, die sich keinem Vergehen schuldig gemacht haben, der Zone verwiesen werden?
- Wie gedenkt der Stadtrat mit diesen aus unserer Sicht mutmasslichen Grundrechtsverletzungen umzugehen? Wie wird der Stadtrat diesbezüglich intervenieren (bspw. beim Kanton)?
Nach Presseberichten über verschiedene unangenehme Vorfälle sind am Ländiweg in den vergangenen Wochen nahezu täglich Polizeikontrollen durchgeführt worden.
Die Fraktion SP/JSP setzt sich dafür ein, dass gewährleistet ist, dass unabhängig von gesellschaftlichem Status, Religion, Hautfarbe, Nationalität und äusserem Erscheinungsbild, alle Passant*innen auf gleicher Basis behandelt werden.
Insbesondere soll gewährleistet sein, dass allfällige willkürliche Wegweisungen mit allen Mitteln verhindert werden und die einschneidende Massnahme der Wegweisung nur in klar begründeten Fällen angewendet wird.»
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Stadträtin Iris Schelbert-Widmer beantwortet die Interpellation im Namen des Stadtrats wie folgt:
Zu den Fragen der Interpellanten
- Wie viele Wegweisungen hat es seit dem 1.4.2017 gegeben? Ist diese Anzahl höher als in vergangenen Zeitabschnitten?
Die Polizei Kanton Solothurn hat seit Anfang Jahr mehrere Spezialkontrollen am Ländiweg durchgeführt. Zudem wird dieser Bereich (inkl. Bahnhof) mehrmals täglich in die ordentliche Kontroll- und Patrouillentätigkeiten miteinbezogen. Die Polizei ist demzufolge am Ländiweg in verschiedenen Ausprägungen präsent. Von Januar bis Mitte Mai 2017 fanden 72 Kontrollen (2016: 108 Kontrollen für das ganze Jahr) statt.
2. Wie wurden die jeweiligen Wegweisungen begründet?
Die administrative Wegweisung und Fernhaltung setzt kein strafbares Verhalten voraus. Die Kontrollen zeigen jedoch, dass auch strafbare Handlungen festgestellt werden: In erster Linie handelt es sich um Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, konkret Besitz (meist im Bereich der Ordnungsbussen) oder Handel mit Drogen. Hinzu kommen Verstösse gegen kantonale Gesetze, z.B. unanständiges Benehmen in der Öffentlichkeit, Littering, Missachten der Leinenpflicht und Verstösse gegen amtliche Auflagen (bspw. Ausländer/Asylbewerber, die sich nicht in dem Gebiet aufhalten dürfen). Es werden auch Personen angetroffen, die im Bundes-Fahndungssystem ausgeschrieben sind. Oft geht es hierbei um Aufenthaltsnachforschung oder Umwandlungshaft, weil Bussen/Geldstrafen nicht bezahlt wurden. Es soll nicht verschwiegen werden, dass im Jahre 2017 auch leider zwei Gewaltstraftaten zu verzeichnen waren. Aus all diesen Gründen finden am Ländiweg vermehrt Kontrollen statt.
Gestützt auf § 37 des Gesetzes über die Kantonspolizei vom 23. September 1990 (KapoG; BGS 511.11) wurden 2017 im Rahmen dieser Kontrollen 47 Wegweisungs- beziehungsweise Fernhalteverfügungen eröffnet. Es dürfte kaum überraschen, dass sich die Verfügungen vom Ländiweg gestützt auf Buchstabe d des genannten Paragrafen als notwendig erwiesen haben. Die Bestimmung bezweckt, Dritten (z.B. Passanten, Anwohnern) die bestimmungsmässige Nutzung des öffentlichen Raums zu ermöglichen. Wer Drittpersonen durch belästigendes oder gefährdendes Verhalten daran hindert, kann weggewiesen werden. Konkret erfolgten die Wegweisungen, weil es zu Pöbeleien gegenüber Passanten kam, ihnen der Durchgang versperrt wurde, das Areal durch freilaufende Hunde und übermässig laute Musik übermässig genutzt wurde, es zu lautstarkem Streit oder Handgreiflichkeiten innerhalb von Personenansammlungen oder zur Verunreinigung des Geländes durch herumliegende Flaschen und anderem Abfall kam. Es handelte sich jeweils um eine eigentliche Inbeschlagnahme des Ländiwegs, welche geeignet war, Dritten Angst einzuflössen und sie an der bestimmungsgemässen Nutzung zu hindern. Die Polizei Kanton Solothurn wahrt die Recht- und die Verhältnismässigkeit. Auffallend ist im Übrigen, dass die meisten weggewiesenen Personen nicht in Olten wohnen.
3. Welche alternativen Ansätze wurden geprüft?
Der Stadtrat hat unter der Leitung der Sozialdirektion eine Projektgruppe «Sicherheit im öffentlichen Raum» eingesetzt. Die Arbeitsgruppe dient als Gefäss zur Meinungsbildung im Zusammenhang mit der aktuellen Sicherheitssituation im öffentlichen Raum. Mögliche Massnahmen können diskutiert, bewertet und vorgeschlagen werden. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden umgehend dem Stadtrat mitgeteilt.
Gestützt auf erste Ergebnisse und die Berichterstattung hat der Stadtrat folgende Aufträge formuliert:
- Erarbeitung von Grundlagen für einen Entscheid bezüglich Videoüberwachung
- Erarbeitung von Grundlagen für die Erweiterung der Öffnungszeiten der Stadtküche
- Abklärungen der Möglichkeiten aufsuchender Sozialarbeit
- Schaffung einer Platzordnung mit Alkoholverbot prüfen.
4. Was ist die Position des Stadtrats zu den in letzter Zeit vermehrt vorkommenden Wegweisungen? Welche Rolle übernimmt der Stadtrat dabei und welches sind seine Handlungsmöglichkeiten?
Der Stadtrat unterstützt die Massnahmen der Polizei Kanton Solothurn wie auch die Wegweisungen. Die Wegweisungen haben gezeigt, dass es sich bei 95% um Personen handelt, welche nicht in Olten oder der umliegenden Region ansässig sind. Der Aufenthalt dieser Personen beinhaltet ungerechtfertigtes und gesetzwidriges Verhalten. Der Stadtrat toleriert am Ländiweg, wie auch auf dem ganzen Stadtgebiet nur rechtmässiges Verhalten, auch in Bezug auf den Aufenthalt im gesamten öffentlichen Raum.
Seit der Integration der Stadtpolizei in die Polizei Kanton Solothurn finden regelmässige (alle drei Wochen) Sitzungen zwischen dem Leiter Öffentliche Sicherheit und dem Regionenchef Olten statt, in welchem die Sicherheitsbelange im öffentlichen Raum eingebracht, koordiniert und abgesprochen werden.
Die Sicherheitsdirektorin wird laufend über besondere Ereignisse, wie zum Beispiel am 21. April 2017, über die vorgesehenen täglichen Kontrollen durch den Regionenchef Olten informiert. Die intensiveren Kontrolltätigkeiten hat der Stadtrat nach den vorhergehenden Vorkommnissen und den darauffolgenden Medienberichten begrüsst.
5. Wie wird die Verhältnismässigkeit der Massnahme der Wegweisung begründet? Wie wird insbesondere die Grösse der Zone gerechtfertigt? (vgl. Bild im Anhang)
Der Stadtrat hat Zonen für Freihalteverfügungen auf Empfehlung der Polizei Kanton Solothurn, früher Stadtpolizei Olten, bestätigt. Der festgelegte Perimeter soll insbesondere dazu dienen, eine Verdrängung an andere Örtlichkeiten und die Bildung neuer unerwünschter Brennpunkte zu verhindern. Aus diesem Grund umfasst die Zone neben dem Bahnhofsgelände auch Schul- und Parkanlagen.
Der Umfang der Zone wird daher als zweckmässig und verhältnismässig betrachtet. Bis-lang wurden mit dieser Zonenlegung keine nachteiligen Erfahrungen festgestellt.
6. Wie wird sichergestellt, dass bei einer Wegweisung, die das Bahnhofsareal umfasst, die persönliche Freiheit nicht unverhältnismässig eingeschränkt wird?
Die Verhältnismässigkeit wird insbesondere dadurch gewahrt, dass eine Fernhalteverfügung den (längerdauernden) Aufenthalt in der Zone verbietet. Das Durchqueren der Zone bleibt selbstverständlich zulässig. Somit ist der direkte Weg, beispielsweise vom Bahnhofplatz zur Suchthilfe, oder ein Arbeitsweg über den Bahnhof Olten gestattet.
7. Werden alle anwesenden Personen gleichermassen kontrolliert, wenn eine Personenkontrolle in der Zone durchgeführt wird?
Es ist keineswegs verboten, sich am Ländiweg aufzuhalten. Am Ländiweg und rund um den Hauptbahnhof Olten halten sich vor allem bei wärmeren Temperaturen Personen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen (Pendler, Erholungssuchende, Anwohner) auf. Verbunden mit der Enge des Weges kann dies zu Verunsicherungen führen.
Personenkontrollen dürfen nur durchgeführt werden, wenn diese zur Aufgabenerfüllung nötig und geeignet sind. Ausserdem hängt die Anzahl Kontrollierter von den verfügbaren polizeilichen Einsatzkräften ab. Neben der Notwendigkeit der Kontrolle ist eine Priorisierung deshalb unumgänglich. Dabei wird den polizeilichen Erfahrungswerten Rechnung getragen.
8. In welcher Form und mit welcher Häufigkeit wurden Drittpersonen von den jeweils weg-gewiesenen Personen belästigt oder gar gefährdet, so dass eine Wegweisung gerecht-fertigt war? Wie weiss der Stadtrat oder die Polizei bestimmt, dass er tatsächlich die Personen erwischt hat, die sich gem. Art. 37 des Solothurner Polizeigesetzes fehlerhaft verhalten haben?
Wir verweisen auf die Antworten zu den Fragen 2 und 7. Ergänzend fügen wir an, dass die Fernhalteverfügungen aufgrund von Feststellungen und Beobachtungen der kontrollierenden Polizeiangehörigen erfolgen. Im Übrigen kann sich jede betroffene Person im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu den Vorhaltungen und der beabsichtigten Fernhalteverfügung äussern. Daneben kommt es zu Meldungen betroffener Dritter an die Polizei. Seit Anfang März 2017 beispielsweise verzeichnet die Polizei Kanton Solothurn vermehrt Meldungen von Passanten, welche Angst haben, am Ländiweg vorbei zu gehen. Neben dem Versperren des Weges gingen Meldungen über anstössiges Verhalten ein. Ähnliche Meldungen wurden bezüglich Bahnhofareal gemacht.
Der Stadtrat vertraut in Bezug auf die Kontrolle von Personen vollumfänglich der Polizeiarbeit und erwartet dabei rechtmässiges und verhältnismässiges Handeln.
9. Was versteht der Stadtrat unter der bestimmungsmässigen Nutzung des öffentlichen Raums am Ländiweg (und Umgebung)? Ist es möglich, dass Personen, die sich keinem Vergehen schuldig gemacht haben, der Zone verwiesen werden?
Der Stadtrat ist der Meinung, dass der Ländiweg und das Aaremürli als Aufenthaltsraum genutzt wird. Es muss aber bei so engen Platzverhältnissen klar sein, dass gegenseitige Rücksichtnahme unabdinglich ist. Der Stadtrat versteht unter bestimmungsmässigem Nutzen des öffentlichen Raums am Ländiweg und in der ganzen Stadt, dass sich Personen jeglichen Alters und Geschlechts zu jeder Tageszeit bewegen und aufhalten können und dabei andere Personen in ihrer gleichwertigen Nutzung nicht behindern. Auch in Bezug auf Ruhe und Ordnung wird anständiges und rücksichtsvolles Verhalten gegen-über aller Personen erwartet.
10. Wie gedenkt der Stadtrat mit diesen aus unserer Sicht mutmasslichen Grundrechtsverletzungen umzugehen? Wie wird der Stadtrat diesbezüglich intervenieren (bspw. beim Kanton)?
Der Stadtrat stellt keine Grundrechtsverletzungen fest und sieht in Bezug auf die Wegweisungen keinen Handlungsbedarf. Für die verhältnismässigen Grundrechtseinschränkungen besteht die notwendige Rechtsgrundlage und das überwiegende öffentliche Interesse. Im Übrigen steht jeder betroffenen Person ein individuelles Beschwerderecht zu. Für den ordentlichen Aufenthalt hat der Stadtrat eine Projektgruppe (siehe Antwort zur Frage 3) eingesetzt. Diese Projektgruppe erarbeitet für die Stadt mögliche Handlungsmassnahmen, wie die Erteilung einer Platzordnung und/oder die Anbringung von Videoaufzeichnungsgeräten, usw.