Am 23. März 2017 hat die SP Olten/Junge SP Region Olten zuhanden des Stadtrats folgende Interpellation eingereicht:
Arbeitsumstände Sexarbeiter*innen
1. Hintergrund
Am 30.01.2017 hat der Stadtrat von Olten in einem definitiven Beschluss das Reglement über die gemeindepolizeilichen Aufgaben der Stadt Olten um ein Verbot der Strassenprostitution von morgens 05.00 Uhr bis abends 20.00 Uhr ergänzt. Mehrere Fachstellen haben diese Massnahme im Gespräch kritisiert. Insbesondere wurde die drohende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter*innen betont.
In seiner Botschaft rechtfertigt der Stadtrat die Ergänzung von Art. 10 mit Bezug auf § 33 Abs. 2 des Wirtschafts- und Arbeitsgesetzes des Kantons Solothurn. Dies erlaubt es den Gemeinden die Wirtschaftsfreiheit der Sexarbeitenden einzuschränken, sofern die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gestört wird. Herausgehoben wird in der Botschaft des Stadtrats die öffentliche Sicherheit.
2. Fragen an den Stadtrat
1. Inwiefern glaubt der Stadtrat, dass ein solches zeitliches Verbot die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit stärkt?
2. Wie genau sieht der Stadtrat die Sicherheit im öffentlichen Raum an der Haslistrasse durch die Sexarbeiter*innen bedroht?
3. Hat eine Auswertung der seit 2013 bestehenden provisorischen Regelung stattgefunden, welche die jetzige, definitive Regelung zu begründen vermag? Wie ist diese Auswertung erfolgt?
4. Wurden Fachstellen wie Lysistrada oder der Dachverband der Fachstellen für Sexarbeitende PROKORE in die Beratung über die Regelung der Sexarbeit und zur Diskussion der Situation in den letzten Jahren miteinbezogen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, was war das Ergebnis?
5. Hat der Stadtrat über alternative Massnahmen diskutiert?
a. Wenn ja, über welche?
b. Warum hat man sich schliesslich für die jetzige Methode entschieden?
6. Wie begründet der Stadtrat die einseitige Sanktion der Sexarbeiter*innen?
7. Hat der Stadtrat Hinweise, dass das Littering, der viele Strassenverkehr und das Wild-parkieren von den Sexarbeiter*innen begangen wird?
8. Gibt es Überlegungen dazu, wie die Polizei Personen die sich an der Haslistrasse auf-halten als arbeitende Sexarbeiter*innen zu identifizieren gedenkt? Welche?
9. Wäre es möglich, dass die Stadt zukünftig den nichtdiskriminierenden Ausdruck der Sexarbeit bzw. der Sexarbeiter*in verwendet?
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Stadträtin Iris Schelbert-Widmer beantwortet die Interpellation im Namen des Stadtrats wie folgt:
Zu den Fragen der Interpellanten
1. Inwiefern glaubt der Stadtrat, dass ein solches zeitliches Verbot die öffentliche Ruhe, Ord-nung oder Sicherheit stärkt?
Die Haslistrasse ist nicht nur Sitz von zahlreichen Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden, sondern auch Durchgangsstrasse für Velo-/Mofafahrende und Zugang Naherholungsgebiet (Stauwehr, Aarebord, Aare).
Vor dem erwähnten Verbot konnte schon durch die damalige Stadtpolizei Olten beobachtet werden, wie Sexarbeitende bereits am frühen Nachmittag auf dem Strassenstrich standen und versuchten, Kunden anzuwerben. Besonders weibliche Angestellte der anwesenden Unternehmen fühlten sich wegen der Präsenz von Sexarbeitenden und Freiern zunehmend unwohl. Für Unternehmen war es ebenfalls unangenehm, Kundinnen, Kunden und Besuchern die Zustände an der Haslistrasse zu erklären. Zudem kam es zu Situationen, wo Familien mit dem Fahrrad an den leicht bekleideten Damen vorbeifuhren und anschliessend entsprechen-de Fragen der Kinder beantworten mussten (Warum hat die Frau so wenig an? Warum steht sie dort, wartet sie auf jemanden?).
Im Jahr 2011 wurden diesbezüglich seitens der städtischen Behörden diverse Strassenverkehrsmassnahmen zur Beruhigung der Situation beschlossen und umgesetzt. An den Wendekreiseln Ost und West wurden stationäre Schranken installiert. Diese Schranken sind während der Zeit von 20.00 Uhr bis 05.00 Uhr geschlossen und unterbrechen dadurch die „Endlosschlaufe“ des motorisierten Individualverkehrs der Freier und Gaffer. Zudem wurde die Tannwaldstrasse analog der Industriestrasse mit einem Nachtfahrverbot zwischen 20.00 Uhr bis 05.00 Uhr belegt.
Diese Massnahmen hatten am Anfang und für kurze Zeit die gewünschte Wirkung. Jedoch wurde die Wandlungs- respektive die Anpassungsfähigkeit des Milieus unterschätzt. Im Sommer 2012 wurde durch die damalige Stadtpolizei Olten beobachtet, dass sich das Milieu mit den neuen Gegebenheiten abgefunden hatte und die verkehrstechnischen Restriktionen durch längere Präsenzzeiten der Frauen auf dem Strich kompensiert wurden. Konkret hiess das, dass sich Sexarbeitende bereits ab 14.00 Uhr (bis zu 15 Personen) auf der Haslistrasse aufhielten.
Aufgrund dieser Vorfälle beschloss der Stadtrat am 11. März 2013 in Ergänzung von Art. 14 des damaligen Polizeireglements (Art. 10 des aktuellen Reglements über die gemeindepolizeilichen Aufgaben der Stadt Olten) ein Verbot der Sexarbeit auf der Strasse von morgens 5.00 Uhr bis abends 20.00 Uhr im Bereich der Haslistrasse. Diese befristete Massnahme trat am 1. April 2013 in Kraft und dauerte bis zum 31. März 2014. Mit der zeitlichen Begrenzung der Massnahme auf ein Jahr wurde letztlich auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nach-gelebt. Die Sexarbeit als gewerbliche Tätigkeit wurde nicht gänzlich oder unzumutbar eingeschränkt, sondern vielmehr auf die Nachzeiten verschoben, wenn deren negative Auswirkungen auf andere Nutzer des öffentlichen Raums eher vernachlässigbar sind.
Nachdem die Polizei Kanton Solothurn bei Kontrollen im Industriegebiet vermehrt wieder fest-gestellt hat, dass sich die Sexarbeitenden wiederum vor 20.00 Uhr anbieten, ist die definitive Einführung des Verbots der Sexarbeit von morgens 05.00 Uhr bis abends 20.00 Uhr durch den Stadtrat am 30. Januar 2017 beschlossen worden.
2. Wie genau sieht der Stadtrat die Sicherheit im öffentlichen Raum an der Haslistrasse durch die Sexarbeiter*innen bedroht?
Diese Frage wurde teilweise bereits in Punkt 1 beantwortet.
Die Sexarbeitenden sind nicht zwingend das Problem selbst, sondern besonders deren Freier, Gaffer und Zuhälter. Passantinnen, welche lediglich durch die Haslistrasse gingen (Spazier-gang, Arbeitsweg, etc.) wurden auf offener Strasse von Freiern belästigt. Obwohl die meisten Sexarbeitenden angeben, selbständig zu arbeiten, ist bekannt, dass sehr viele von ihnen einen «Beschützer» (oder eben Zuhälter) im Hintergrund haben. Zuhälterei nachzuweisen ist schwierig. Vergangene Kontrollen von «Beschützern» zeigten aber ein hohes Gewaltpotezial und eine entsprechende Vergangenheit.
3. Hat eine Auswertung der seit 2013 bestehenden provisorischen Regelung stattgefunden, welche die jetzige, definitive Regelung zu begründen vermag? Wie ist diese Auswertung erfolgt?
Eine entsprechende Statistik existiert nicht. Szenekenner der Polizei bestätigen aber, dass sich die bisherige Regelung bewährt hat. Auch Angestellte, Kundinnen, Kunden und Besucher der ansässigen Unternehmen können dies bestätigen. Seit der Einführung im Jahre 2013 gab es tagsüber nur noch wenige Klagen bezüglich Littering und sexuellen Belästigungen.
4. Wurden Fachstellen wie Lysistrada oder der Dachverband der Fachstellen für Sexarbeitende PROKORE in die Beratung über die Regelung der Sexarbeit und zur Diskussion der Situation in den letzten Jahren miteinbezogen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, was war das Ergebnis?
Die Stadträtin der Direktion Öffentliche Sicherheit ist seit Beginn der zunächst aufsuchenden Sozialarbeit im Jahre 1994, später des Vereins Lysistrada in direktem und regelmässigen Kontakt mit der verantwortlichen Sozialarbeiterin von Lysistrada. Diesem Informationsaus-tausch gehörte immer der verantwortliche Angehörige der Stadtpolizei, heute der Polizei Kan-ton Solothurn an. Den Kontakt zu Fachstellen wie PROKORE hat ausschliesslich Lysistrada.
Trotz des regelmässigen Kontaktes von Direktion, Lysistrada und Polizei sind die Interessen der Beteiligten natürlich verschieden. Lysistrada kümmert sich um die Sexarbeitenden in Gesundheitsfragen, Fragen zu Arbeitsbedingungen und Bewilligungen, sowie Gewaltprävention und Beratung bei Rechtsfragen. Die Stadt hat für die Sicherheit aller in diesem Areal (Anrainer, Gewerbebetriebe, Kundschaft, Passantinnen und Passanten, Sexarbeitende, usw.) zu sorgen. Es gilt in diesem Areal die verschiedensten Interessen aneinander vorbei zu bringen.
Das Ergebnis der regelmässigen Austauschsitzungen ist eine geregelte Sexarbeit nebst einer erhöhten Sicherheit für die Sexarbeitenden, ein möglichst konfliktarmes Neben-, resp. Nach-einander zwischen ansässigem Gewerbe und der Sexarbeit.
5. Hat der Stadtrat über alternative Massnahmen diskutiert?
Nein. Die angestrebten Ziele konnten mit den ergriffenen Massnahmen erreicht werden.
Verrichtungsboxen, wie sie in Zürich errichtet wurden, sind für Olten keine Alternative.
6. Wie begründet der Stadtrat die einseitige Sanktion der Sexarbeiter*innen?
Der Stadtrat ist der Meinung, dass die Sexarbeitenden durch diese Massnahmen nicht sanktioniert werden. Die Sexarbeit als gewerbliche Tätigkeit wurde weder gänzlich noch unzumutbar eingeschränkt, sondern vielmehr auf die Nachtzeiten verschoben, wenn deren negative Auswirkungen auf andere Nutzende des öffentlichen Raums eher vernachlässigbar sind. Sexarbeitende ziehen entsprechende Personen nach sich (siehe auch Antwort 2). Fast täglich kontrolliert und sanktioniert die Polizei an erwähnter Örtlichkeit Personen, welche sich dann als Freier, Gaffer oder «Beschützer» herausstellen.
7. Hat der Stadtrat Hinweise, dass das Littering, der viele Strassenverkehr und das Wild-parkieren von den Sexarbeiter*innen begangen wird?
Littering ist besonders im Sommer ein Problem, wenn die Fahrzeuge der Kunden und die natürliche Umgebung (Bäume, Sträucher, etc.) als Arbeitsort genutzt werden. Dabei finden sich zahlreiche Kondome, Taschentücher, Feuchttücher und dergleichen, welche achtlos auf den Boden geworfen werden. Durch den Werkhof extra aufgestellte Mülleimer zeigen dabei wenig Wirkung.
Ebenfalls während der wärmeren Tage, wenn die Sexarbeitenden leichter bekleidet am Strassenrand stehen, kommt es in der Haslistrasse zu stauähnlichen Szenen durch motorisierte Freier und Gaffer, welche mehrfach ihre Runden drehen. Dabei werden auch entsprechende Verkehrsübertretungen (Parkieren auf Trottoir/im Halteverbot, Laufenlassen des Motors, Unnötiges Umherfahren, etc.) durch die Polizei sanktioniert.
Auch kann beobachtet werden, dass private Grundeigentümer ihre an die Haslistrasse angrenzenden Areale mit Zäunen, Sperren, Bewegungsmeldern, Licht, Kameras und dergleichen schützen.
8. Gibt es Überlegungen dazu, wie die Polizei Personen, die sich an der Haslistrasse aufhalten, als arbeitende Sexarbeiter*innen zu identifizieren gedenkt? Welche?
Sexarbeitende, welche an der Haslistrasse zu arbeiten gedenken, müssen sich am Schalter der Polizei Kanton Solothurn, Posten Olten City, registrieren lassen. Zudem sind sie auf der Strasse meist einfach als solche zu erkennen. Auskunft über ihre Tätigkeit geben u.a. Ort und Zeit ihres Aufenthalts (der Strassenstrich an der Haslistrasse ist auch als solcher national bekannt), zudem Nationalität, Ausländerausweis (Eintrag «Masseuse»), Kleidung und Inhalt der Handtasche (Gleitmittel, Präservative, Taschentücher, Adressen von Nachtclubs, etc.) und das aktive Anwerben von Kundschaft. Anlässlich der Polizeikontrollen geben auch die meisten Frauen zu, als Sexarbeiterinnen tätig zu sein.
Die Polizei verfügt über spezialisierte und ausgebildete Fachverantwortliche mit Erfahrung.
9. Wäre es möglich, dass die Stadt zukünftig den nichtdiskriminierenden Ausdruck der Sexarbeit bzw. der Sexarbeiter*in verwendet?
Ja. Der Gebrauch der Sexarbeit, Sexarbeiterin und Sexarbeiter werden in Olten seit vielen Jahren verwendet. Beim kantonalen Gesetz über Wirtschaft und Arbeit werden diese Ausdrücke ebenfalls verwendet.